Tango Argentino

Bewegend vielfältig

Eine Kombination aus Leidenschaft, Sehnsucht, Melancholie und Akrobatik — so erlebt man das „getanzte Gefühl“, das seit den 1980-er Jahren in Deutschland immer populärer geworden ist. Ein Paartanz, der in den Armenvierteln von Buenos Aires und Montevideo entstand und schon so manchen eingefleischten Nichttänzer aus der Reserve gelockt hat.

Hierzulande ist dieser Tanz unter dem Begriff „Tango Argentino“ bekannt, obwohl er sich im 19. Jahrhundert in Argentinien und Uruguay gleichzeitig entwickelte. Er unterscheidet sich vom europäischen Standardtanz unter anderem durch die Musik, Rhythmuselemente und Schrittfolgen. In jeder größeren Stadt in Deutschland gibt es mittlerweile Tanzschulen, die den Tango Argentino anbieten. Zu den Schülern gehören längst nicht nur Menschen im klassischen „Tanzschul-Alter“. Was hat dieser Tanz, was andere nicht haben und immer mehr Menschen in seinen Bann zieht? Wir haben jemanden gefragt, der seit vielen Jahren den Tango leidenschaftlich tanzt und erforscht.

Elegantes Gehen zur Musik

Für den Freiburger Arzt Dr. med. Kuno Jungkind  ist der Tango Argentino viel mehr als ein Trendtanz. Gemeinsam mit der Pädagogin Karin Hennemann unterrichtet er seit über 10 Jahren Tango. Dabei richtet er sich bewusst auch an Personen, die man nicht zur typischen Klientel zählen würde: Seine Kurse besuchen unter anderem Führungskräfte, Menschen mit Handicaps, Übergewicht sowie Senioren, die teilweise über 80 Jahre alt sind.

Herr Dr. Jungkind, wie sind Sie selbst zum Tango Argentino gekommen?

Das war bereits in den 80er Jahren in Salzburg. Der Tango Argentino kam in Europa langsam in Mode, und ich nahm meine ersten Stunden bei einem brasilianischen Trainer. Der Tanz war damals noch sehr klischeebehaftet, auch für mich, und ich spürte die Überforderung, als Mann immer führen zu müssen und mir Figuren einfallen zu lassen. Vor zehn Jahren habe ich dann bei dem Trainer Horst Schorries erlebt, dass es auch anders geht: stressfrei und genussreich, auch für den Führenden.

Gibt es im Tango eine Stilrichtung, die Sie bevorzugen?

Mich interessiert mehr die Wahrnehmung, wie sich ein Paar zusammen bewegt. Denn ich sehe den Tango eher als eine Art der Bewegungskultur, da treten diese Unterscheidungen in den Hintergrund.
Übrigens: Der Tanzstil ist nicht losgelöst zu sehen von der Musik; die Stilrichtung der Tangomusik — immerhin 100 Jahre Entwicklung! — sollte den Tanzstil beeinflussen.

Was macht diesen Tanz für Sie persönlich so besonders?

Tango ist ein gemeinsames Gehen zur Musik. Er lässt sich an alle Voraussetzungen anpassen, die der Tänzer mitbringt. Und er wird nie langweilig – vor allem wenn die Musikauswahl gut ist.

Was macht diesen Tanz für Sie aus ärztlicher Sicht so wertvoll?

Dass es möglich ist, ihn körpergerecht zu tanzen — und dass er dabei gut aussieht. Denn es geht eben nicht um bestimmte Figuren oder besondere Leistung, sondern um achtsames gemeinsames Gehen und Präsenz. Und: Wer Tango tanzt, verbessert seine Haltung. Das Bedürfnis danach kommt auf ganz natürliche Art, weil es sich einfach viel besser anfühlt, wenn man sich aufrichtet.

Einer Ihrer Kernsätze lautet: Bewegung ist Entscheidung. Sind Tangotänzer entscheidungsfreudiger als andere?

Sie machen die direkte Erfahrung, wie stark Initiative und Antwort zusammenhängen. Alles was ich im gemeinsamen Tanz tue oder lasse, verändert die Situation. Ich habe also jederzeit die Chance zu spüren, wie meine Entscheidungen ankommen. Und es gibt viele Gelegenheiten, auf Unvorhergesehenes zu reagieren.

Kann jeder Tango lernen – unabhängig von Alter, Tanzerfahrung und Musikalität?

Ja. Jeder kann Tango lernen — übrigens ein sehr gutes Brain-Jogging. Denn hier werden Herz und Verstand zugleich angesprochen und trainiert.

Was raten Sie Menschen, die Tango lernen wollen, aber mit körperlichen Einschränkungen umzugehen haben?

Als Beispiel will ich mal Arthrose und Rheuma aufgreifen. Wer davon betroffen ist, wird feststellen, dass einige Bewegungsabläufe sich stark verlangsamen. Ein Tangotänzer kann das als Ressource nutzen. Denn der Tango kennt charakteristische Stilelemente wie die absichtliche Schrittverzögerung. Das lässt sich wunderbar integrieren. Wer lernt, mit seinen Einschränkungen im Tanz angemessen umzugehen, erlebt eine neue Natürlichkeit in der Bewegung, die elegant und überhaupt nicht antrainiert wirkt.

Und wenn man bisher schlicht unsportlich war: Kann ein normaler Tangokurs da schon zur Überforderung werden?

Ein normaler Kurs eventuell schon. Einer, in dem die Achtsamkeit und die Körperwahrnehmung im Vordergrund stehen, eher nicht.

Kann Tango heilsam sein für Menschen, die eine Erkrankung mit psychischen Komponenten haben?

Musik, Bewegung und ein naher Kontakt zu anderen Menschen — ja, das kann Gutes bewirken.