Hoch hinaus und über sich hinauswachsen: Beim Klettersport sind nicht nur alle Muskeln, sondern auch die ganze Aufmerksamkeit gefordert. Die schönste Belohnung ist das Gefühl nach dem „Gipfelsturm“.
Keine Frage, am Berg zu klettern, ist anspruchsvoll und kann sogar gefährlich werden. Doch man muss als Einsteiger weder sehnig-muskulös noch mutig sein, betont Dr. Marit Möhwald, Bildungsreferentin im Deutschen Alpenverein: „Jeder kann klettern, — egal, ob jung oder alt, groß oder klein, dick oder dünn. Wichtig ist neben der Lust und Neugier vor allem, sich Zeit zu nehmen, das Klettern von der Pike auf zu lernen."
Erste Station: Die Kletterhalle
Anfänger sollten zuerst mal eine Kletterhalle ansteuern, die es heute in jeder größeren Stadt gibt. Hier vermitteln erfahrene Trainer die wichtigsten Sicherheitsstandards: vom Anlegen des Klettergurts über die Knotenkunde bis hin zum Einbinden des Partners. Empfehlenswert ist es, einen Kurs zu wählen, in dem neben der Sicherheits- auch die Klettertechnik auf dem Programm steht. Für Anfänger ist die Variante des Toprope-Kletterns die einfachste und sicherste Methode. Das Seil wird am obersten Punkt der Kletterroute durch eine Umlenkung geführt und der Kletterer von einer Person vom Boden aus gesichert.
Trendsport Bouldern
Eine Klettervariante ohne Seil und Partner ist das Bouldern. Der Begriff kommt vom englischen boulder, Felsblock. Geklettert wird in der Halle an künstlichen Felsstrukturen oder an Felsen im Freien, maximal etwa fünf Meter hoch über weichen Matten — für den Fall der Fälle. Der Reiz besteht beim Bouldern nicht darin, möglichst hoch hinauszukommen, sondern sich fast schon akrobatisch am Felsen entlang zu hangeln. Alles, was man an Ausrüstung braucht, sind spezielle Schuhe und ein Beutel Magnesiumpulver gegen schwitzende Hände. In der Halle helfen dem Boulderer bunte Griffe, doch in freier Natur muss er seine Kreativität und Erfahrung einsetzen, um komplizierte Routen zu meistern. „Einige Linien gehen sofort, andere erst nach Wochen und für manche verlierst du fast die Geduld, bis du das Problem endlich knacken kannst“, so Udo Neumann, der seit Jahrzehnten klettert und bouldert.
Muskeln: Klasse statt Masse
Ob klassisch mit Seil oder bouldern: Klettern ist ein effektives Krafttraining. Besonders gefordert ist die Oberkörpermuskulatur — von den Fingern bis zum Lendenbereich. Beim Klettern werden Muskeln besonders effizient genutzt. Aber der Aufbau von Muskelmasse wie zum Beispiel beim Bodybuilding würde den Aufstieg buchstäblich schwerer machen. Vielmehr ist intramuskuläres Zusammenspiel gefordert. Das Klettern verbessert Koordination und Gleichgewicht und bei regelmäßigen Touren natürlich auch die Ausdauer.
Ganz bei der Sache sein
Klettern ist aber auch eine „Kopfsache“, die volle Konzentration, gute Reaktionsfähigkeit und eine Portion Willenskraft und mentale Stärke erfordert. Während des Aufstiegs beschäftigt sich der Kletterer ausschließlich damit, von einem Tritt zum nächsten zu gelangen — hier ist kein Platz für Gedanken um den Job, die Familie oder den Partner. Der US-amerikanische Speed- und Freikletterer Hans Florine spricht sogar von „physischer Meditation“. Kontrollierte Herausforderungen zu bewältigen, stärkt überdies das Selbstbewusstsein und die Selbstwahrnehmung. Nicht Wagemut ist gefragt, sondern der Mut, an seine Grenzen zu gehen und dabei immer Risiken abzuwägen. Im Unterschied zu vielen anderen Sportarten gibt es beim Klettern keine Routine. Selbst die am häufigsten gekletterte Strecke stellt unter anderen Wetterbedingungen oder mit einem anderen Partner neue Anforderungen.