Zu Fuß zufrieden

Wenn etwas sehr einfach ist, wird es leicht unterschätzt. Der unspektakuläre Spaziergang ist nicht nur ein sanftes Fitnessprogramm, sondern auch Entspannungsübung und Gehirntraining. Der Publizist, Coach und Wanderer Dr. Christian Sauer erklärt im Interview, warum wir jede Möglichkeit nutzen sollten, um draußen zu gehen.

"Wandern durch eine reizvolle Landschaft - das mögen viele. Doch wie kann man den "alltäglichen" Spaziergang attraktiver machen?"

CHRISTIAN SAUER: In der Fremde fällt es oft leichter, sich für den Reiz einer Landschaft zu öffnen. Flachland, Mittelgebirge und besonders die direkte Umgebung des eigenen Wohnorts werden sehr unterschätzt. Dabei muss man nur kontinuierlich gehen und die Umgebung auf sich wirken lassen, dann spürt man auch dort die Eigenart einer Landschaft und den Zauber des Gehens. Ich bin nicht so der Typ, der mit Bäumen oder Käfern spricht, eher ein eingefleischter Rationalist. Aber ich spüre, dass mein Geist durch den Rhythmus des Gehens offener wird für Empfindungen und Stimmungen in der Natur – zum Beispiel, wenn ich in einer alten Weide Schutz vor einem Hagelschauer suche und danach ein Regenbogen über dem Flusstal steht. Genauso, wenn ich einen plötzlich angeschwollenen Bach überwinden muss oder ein Reh aus dem Morgennebel auftaucht.

"Woran liegt es, dass wir während oder direkt nach einem Spaziergang auf gute Ideen kommen oder Probleme von einer neuen Seite betrachten können?"

CHRISTIAN SAUER: Beim zügigen Gehen abseits großer Straßen stellt sich im Gehirn etwas um: Erstens braucht es mehr Energie, um den Weg zu erfassen und die Umgebung zu scannen – ein uraltes Programm aus unserer Jäger- und Sammler-Zeit. Zweitens reagieren wir intuitiv auf unsere Umgebung. Gestern Abend bin ich von einem offenen Feld in einen dämmrigen Buchenwald hineingewandert. Ich fühlte mich für einen Moment etwas unsicher, dann war mir plötzlich andächtig zumute, wie beim Betreten einer Kathedrale. Genauso kann eine tolle Fernsicht oder ein blühender Busch, eine einzeln stehende Eiche etwas in uns anstoßen. Dieser Kontakt zur Landschaft, kombiniert mit der körperlichen und geistigen Entspannung, bringt auch das Denken auf neue Pfade.

"Welche Rahmenbedingungen braucht es, damit das Gehen unsere inneren Batterien wieder aufladen kann?"

CHRISTIAN SAUER: Wenn wenig Zeit ist, kann schon ein zügiger Spaziergang von 15 bis 30 Minuten durch ein Stadtviertel den Kopf frei machen. Das ist eine simple, stets verfügbare Methode, um zum Beispiel die Ideenproduktion wieder anzukurbeln oder sich aus dem zu befreien, was ich als Coach „Problemtrance“ nenne: Alles dreht sich nur noch um eine vertrackte Sache. Noch besser sind natürlich ein paar Stunden ganz weit draußen in der Landschaft. Aber egal wo wir gehen, immer kommt es darauf an, nicht dauernd stehen zu bleiben und auch nicht jedem Anflug von Müdigkeit nachzugeben. Weitergehen, das ist der Schlüssel zum klaren Kopf. Und am besten funktioniert das, wenn wir auch noch das Handy auf Flugbetrieb schalten.

"Aber gerade wenn man allein unterwegs ist, fühlt man sich durch Musik oder einen Podcast ziemlich gut unterhalten. Spricht etwas dagegen?"

CHRISTIAN SAUER: Bei einer Weitwanderung kann das sehr hilfreich sein, um Durststrecken zu überbrücken, zum Beispiel öde, schnurgerade Forstwege durch eine Fichtenplantage. Auf einem halbwegs abwechslungsreichen Weg aber lenken Musik und Podcast vom Naturerlebnis ab. Ich sage mir dann: Das kannst du auch später noch hören, aber diesen Weg zu dieser Jahreszeit, bei diesem Licht und dieser Witterung – das erlebst du kein zweites Mal. Also halte deine Sinne wach für das, was dir begegnet.