Unser Bauchgefühl

Wenn wir Entscheidungen „aus dem Bauch heraus“ treffen, wir „Schmetterlinge im Bauch“ haben oder uns etwas „auf den Magen schlägt“: dann funktioniert unser sogenanntes Bauchgehirn. Mit bis zu 200 Millionen Nervenzellen ausgestattet, ist es ähnlich komplex und funktioniert nahezu genauso wie unser Gehirn.

Dass unser Darm weit mehr ist als ein reines Verdauungsorgan, ist wissenschaftlich längst erwiesen. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckte der Nervenarzt Dr. Leopold Auerbach unter dem Mikroskop ein Netzwerk von Nervenzellen und -strängen in der Darmwand. Dieses Netzwerk bezeichnet man heute als enterisches Nervensystem oder auch Bauchgehirn. Anders als unser Gehirn im Kopf erbringt es keine kognitiven Leistungen, sondern verarbeitet ausschließlich Nervenimpulse. Doch beide Gehirne kommunizieren miteinander über die sogenannte Darm-Hirn-Achse, die Verbindung zwischen Verdauungstrakt und zentralem Nervensystem.

Bauchhirn an Kopfhirn

Erstaunlicherweise gehen 90 Prozent der Impulse vom Bauchgehirn aus. Es übermittelt dem Kopf zum Beispiel ein Hungergefühl, Schmerzen oder Unregelmäßigkeiten im Verdauungstrakt. Haben wir etwas Schlechtes gegessen, lösen Kopfund Bauchgehirn gemeinsam Durchfall oder Erbrechen aus. Das Bauchgehirn kann die Daten seiner Sensoren selbst generieren und verarbeiten. Es koordiniert zum Beispiel die Infektabwehr, indem es Millionen von chemischen Substanzen analysiert, die mit der täglichen Nahrung in unseren Körper gelangen. Die Darmwände bilden dabei eine effektive Verteidigungslinie. Viele Abwehrzellen dort sind direkt mit dem Bauchhirn verbunden. Sie lernen, zwischen „Gut“ und „Böse“ zu unterscheiden. Die Information wird gespeichert und bei Bedarf abgerufen. Gelangen Gifte in den Körper, fühlt das Bauchgehirn diese zuerst und gibt Alarmsignale ans Oberstübchen. Es soll dem Menschen bewusst machen, dass im Gedärm etwas nicht stimmt, und ihn veranlassen, sich entsprechend zu verhalten.

Dass Kopf- und Bauchgehirn sich so gut verstehen, liegt vor allem daran, dass beide sich sehr ähnlich sind: Zelltypen, Wirkstoffe und Rezeptoren sind identisch. Neben Nervenbahnen wirken an der Kommunikation auch Botenstoffe wie Neurotransmitter oder Hormone mit.

Emotionale Beeinflussung

Alle Botenstoffe, die im Kopf vorkommen, gibt es auch im Bauchgehirn. Dazu gehören etwa Dopamin und das Glückshormon Serotonin. Im Kopf beeinflusst Serotonin unser Wohlbefinden, im Darm steuert es den Rhythmus der Darmtätigkeit und reguliert das Immunsystem. Interessant ist, dass 90 Prozent des Serotonins im Bauchraum gebildet
werden, um dann über die DarmHirn-Achse unser Gemüt zu beeinflussen.

Wichtige Darmbakterien

Die zentrale Komponente des Bauchgehirns ist die Darmflora. Sie setzt sich aus rund 100.000 Milliarden Bakterien zusammen, die nicht nur bei der Verdauung helfen. Dort werden neue Substanzen produziert, die den emotionalen Teil des Kopfhirns im Gleichgewicht halten. Dieses limbische System wirkt zum Beispiel entspannend gegen Stress oder Angst. Daher ist eine gesunde Ernährung so wichtig, denn über sie nehmen wir Einfluss auf die Qualität unserer Darmflora.

Parkinson im Bauchgehirn

Was im Kopf passiert, bleibt dem Bauch nicht verborgen. Forschende untersuchen aktuell, ob Krankheiten, die wir lange nur im Kopf lokalisiert haben, auch das Bauchgehirn betreffen – beispielsweise Parkinson, Alzheimer oder Depressionen. Tatsächlich fanden sie im Nervensystem des Bauchs von Parkinson-Patient*innen ähnliche Veränderungen wie im Kopf. Verblüffend ist, dass die charakteristischen Nervenschäden im Bauchgehirn früher auftreten als im Kopfhirn und Betroffene
häufig schon lange unter MagenDarm-Beschwerden leiden, bevor die Krankheit im Kopf ausbricht.

Lernen auf Mikroebene

Stresserlebnisse in der frühen Lebensphase eines Menschen werden sowohl im Kopf- als auch im Bauchgehirn gespeichert und können die Sensibilität der Darm-HirnAchse für das ganze Leben bestimmen. Erwachsene, deren Darm beispielsweise schnell „irritiert“ reagiert, hatten als Säuglinge nicht selten unter Koliken zu leiden, so eine Beobachtung. Auch ausgeprägte oder lang anhaltende Furcht hinterlässt Spuren in beiden Gehirnen. Zum Glück werden aber auch freudige Gefühle abgespeichert, wie etwa Vorfreude oder die berühmten Schmetterlinge im Bauch.

Regelmäßig zur Vorsorge

Bauchgefühl ist gut – Darmkrebsvorsorge ist besser! Achten Sie darauf, dass es Ihrem Darm gut geht, und beugen Sie Darmkrebs vor.