So nah und doch so fern

So sieht sie aus, die neue Corona-Welt: Kontakte beschränken, sich nur noch mit wenigen Menschen persönlich treffen, im Home-Office arbeiten, auf Liebgewonnenes verzichten. Familie, Freunde, aber auch die Kollegen kommen uns abhanden. Social Distancing ist das neue Schlagwort, #wirbleibenzuhause der Hashtag des Jahres. Doch gerade in Krisenzeiten ist die soziale Nähe wichtig, sagen Psychologen.

Retten uns soziale Medien?

Per Smartphone sind wir jederzeit und überall erreichbar. 24/7 — per Chat, SMS, Social Media. Doch können wir uns in der Ferne nah sein? Und verändert uns das virtuelle Beisammensein?

In diesen Zeiten erlebt klassisches Telefonieren eine neue Blüte, Videochat-Programme boomen. Per WhatsApp tauschen wir uns aus, seit Corona gibt es Online-Enkel-Besuche und Querflöten-Unterricht per Skype. Man ist sich nahe. Irgendwie. Virtuell.

Liken, Daumen hoch, Herz teilen

Lange hatten Social Media einen schlechten Ruf: Die unbedarfte Nutzung der Internet-Medien auf Plattformen wie Pinterest, Twitter, Snapchat führt bei manchem zu emotionaler Abhängigkeit. Mobber haben leichtes Spiel, die Datensicherheit der Apps ist oft mangelhaft. 2019 trauten nur 14 Prozent der deutschen Nutzer den sozialen Medien1. Sogar ehemalige Googleund Facebook-Mitarbeiter warnten vor zu viel Social Media und gründeten das „Center for Humane Technology“, das sich für humane und ethisch vertretbare Technologien einsetzt. Ist das jetzt alles anders?

Kommunikation  — analog und digital

Kommunikation ist mehr als „nur“ miteinander reden. Viele nonverbale Signale sind dabei wichtig: Gesichtsausdruck, Gestik, Körperhaltung, Pupillengröße. Zum Teil können wir diese Signale noch wahrnehmen, wenn wir per Videochat kommunizieren. Wir teilen uns aber auf mehreren Sinnesebenen mit, beispielsweise auch über Gerüche. Ob man „jemanden riechen kann“, bekommt man deshalb nur bei persönlichen Begegnungen mit. Beim Videoanruf gehen viele Signale verloren, beim Telefonieren noch viel mehr.

Wo helfen die „sozialen Medien“?

Medienpsychologen weisen darauf hin, dass Menschen, die viel über soziale Netzwerke und Messenger-Dienste kommunizieren, auch oft mehr analoge Gespräche mit ihren Kontakten führen. Gerade über größere Distanzen können so Freundschaften aufrechterhalten werden.

Dr. Tobias Dienlin, Medienpsychologe an der Universität Wien, konstatiert, dass es bei der Kontaktpflege nicht so sehr auf das Medium ankomme, sondern auf Botschaft und Inhalt. „Wichtiger ist, dass man überhaupt mit Mitmenschen in Kontakt steht“, so der Psychologe, denn Kommunikation ist ein zentrales Bedürfnis. Es steckt in unseren Genen, dass wir uns in Gruppen zusammenschließen und dazugehören wollen. Studien zeigen, dass allein das Verbreiten von Mitteilungen in sozialen Netzwerken dazu führt, dass Menschen sich weniger allein fühlen.Allerdings: Menschen, die im Offline-Leben schwer Freunde finden, können das meist auch online nicht kompensieren.

Virtuelle Kontakte   — echte Berührung

Psychologin Dr. Jennifer Eck von der Universität Mannheim darüber, was soziale Kontakte ausmachen.

Könnten wir Kontaktverbote dauerhaft ertragen?

Wir sind soziale Wesen und brauchen die zwischenmenschliche Nähe. Sie befriedigt unser Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit. Mit dem „Social Distancing“ können Menschen, die zuvor vieles alleine gemacht haben, häufig besser umgehen als Menschen, die ein starkes Bedürfnis haben, unter Leute zu gehen und Zeit mit anderen zu verbringen. Letzteren fällt es meist schwerer, auf persönliche Kontakte zu verzichten. Dauerhafte Kontaktverbote würden sich allerdings negativ auf das Wohlbefinden aller auswirken.

Werden Menschen, die alleine leben, durch die fehlenden persönlichen Treffen einsam(er)?

Singles beispielsweise haben häufig mehr Kontakt zu ihrem Freundeskreis als Personen, die in einer Partnerschaft leben. Aber wenn Treffen nicht stattfinden, kann es schnell passieren, dass sie sich einsam fühlen.

Kann virtuelle Technik Live-Kontakte ersetzen?

Durch die sozialen Medien ist es einfacher geworden, mit anderen in Kontakt zu bleiben. Vor allem, wenn persönliche Treffen schwierig oder unmöglich sind. Aber echtes Beisammensein ist wichtig fürs eigene Wohlbefinden. Eine liebevolle Umarmung, Händeschütteln, Küsschen, Berührungen können nicht durch virtuelle Begegnungen ersetzt werden.

Können virtuelle Kontakte zu Freunden werden?

Wer über soziale Medien aktiv kommuniziert, kann in der Tat Freundschaften schließen. Für schüchterne Menschen sind sie eine Hilfe bei der Kontaktaufnahme.