Die Macht der Rituale

Menschen brauchen Rituale. Seien es die großen religiösen Feste wie Weihnachten, das Zucker- oder das Chanukkafest mit all ihren Aktivitäten, die das Leben strukturieren und uns prägen. Oder auch die vielen kleinen Rituale, die unser alltägliches Leben erfüllen. Und sei es nur, bewusst den Moment beim Schopf zu packen und einen kuschligen Wintertag mit einer Tasse Tee auf der Couch zu genießen.

Rituale betonen Gemeinsamkeit

Aus psychologischer Sicht helfen uns Rituale, in einer immer komplexeren Welt besser zurechtzukommen. Sie schaffen Momente der Besinnung, gliedern den Alltag, und ihre Wiederholung beruhigt. Zudem sind sie gut für die Partnerschaft – jedes Paar, jede Familie hat eigene Rituale, die die Gemeinsamkeit betonen und positive Erinnerungen wecken.

Halt und Orientierung

Sind zum Beispiel Kerzenschein, Weihrauch oder Räucherstäbchen und Musik im Spiel, dann ist ein Ritual besonders einprägsam. Denn es spricht alle Sinne an. Der Körper schüttet Hormone aus, die hellwach und glücklich machen. Rituale markieren auch Lebensabschnitte wie Taufe, Hochzeit und Jubiläumsfeiern, sie schaffen Zugehörigkeit, geben Halt und Orientierung. Ganz besonders wichtig sind Rituale daher auch für Kinder.

Rituale helfen Kindern, sich zu entfalten

So ist ein Kindergarten auch immer ein Hort der Rituale: das gemeinsame Frühstück um halb zehn, der Morgenkreis, gemeinsames Singen, jeden Mittwoch Waldtag – kleine Kinder üben so nicht nur ihr Sozialverhalten, sondern sie leben auch in der Gewissheit, dazuzugehören. Gleiche Abläufe verleihen ihnen Sicherheit. In dieser „Schutzblase“ können sie sich entfalten und entwickeln.

Kleine Rituale rund um die Arbeit

  • Nutzen Sie eine kleine Kaffeepause für sich: Umschließen Sie die warme Tasse mit beiden Händen. Sagen Sie sich: Ich werde jetzt neu belebt; ich bin jetzt in meiner Mitte. Sie werden sehen, dass es etwas ganz anderes ist, den Kaffee auf diese Weise bewusst zu trinken, als ihn nebenbei herunterzukippen.
  • Der Flur zu Hause ist wie eine Schleuse: Lassen Sie Ihre Bürotasche dort stehen. Stellen Sie mit der Last der Tasche auch bewusst die Last eines anstrengenden Arbeitstages ab.

Rituale als Ruhepol

Die Religionspädagogin und Künstlerin Lore Galitz möchte Menschen die Heilkraft von Ritualen näherbringen. Wir haben mit ihr gesprochen.

Frau Galitz, viele Menschen sind im Dauerstress. Können Rituale helfen?

Wer ständig rotiert, kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ein Ritual bringt einen in die Mitte zurück. Es ist an einen bewussten Gedanken gekoppelt, an dem man sich festhalten kann. Es reichen schon kleine Rituale, um aus dem Hamsterrad auszusteigen. Jeder führt für sich Rituale aus wie den Abschiedskuss. Der Kuss ist aber manchmal so beiläufig, dass er seine Wirkung verliert – nämlich Verbundenheit zu zeigen – und so zur Routine verkommt. Wichtig ist, die Dinge des Alltags mit Aufmerksamkeit und einer Absicht zu tun, mit dem Herzen bei der Sache zu sein. Das sind kleine Auszeiten.

Müssen Festtage immer in Stress ausarten?

Ich kann nur empfehlen, sich vorher zusammenzusetzen. Wie bei jedem Ritual sollte ich mir die Frage stellen: Was ist mir wichtig dabei? Wenn jeder gesagt hat, wie er es gern möchte, dann ist der nächste Schritt, zu schauen, was allen besonders wichtig ist. Und dabei sollte man auch den Mut haben, sich von weniger beliebten Gewohnheiten zu trennen. Man muss auch bei einem Fest wie Weihnachten nicht abspulen, was man von früher kennt.

Wie gestaltet man das Schenken bewusster?

Wer zum Beispiel mit Kindern das Geschenkeauspacken mehr würdigen möchte, kann Würfeln als Ritual einführen: Erst wer eine 6 gewürfelt hat, darf ein Geschenk auspacken.

Was ist Ihr Lieblingsritual?

Der Morgendank. Dieses Morgenritual ist ein wirklich schöner Start in den Tag – besonders am Fenster bei aufgehender Sonne. Ich begrüße den neuen Tag und danke für alles Gute, was heute zu mir kommt. Damit öffne ich mich für das Gute.

Buchtipp
Lore Galitz: Zeit für Rituale. Kraftvolle Impulse für ein erfülltes Leben. Taschenbuch, 160 S., Irisiana, 14,99 €.